Meine erste Abschiedsreportage

Meine erste Abschiedsreportage

Do it now!
Sometimes ‘later’ becomes ‘never’.

Es ist ein Unterschied, ob ich Schnappschüsse mache oder ganz bewusst eine Abschiedreportage fotografiere. Erstere entstehen zwischendurch, ohne spezielle Haltung, aus Freude am Moment oder am Bild. Diese – meine erste – Abschiedsreportage war bewusst entstanden. Im Wissen des kommenden Endes, mit der klaren Haltung, dass es allen gut tut nochmal den Alltag ganz bewusst zu erleben. Alles genau einzusaugen.

Für mich beinhaltet das Thema Portraitfotografie mit Persönlichkeit zwei Aspekte. Zum einen den des kunstvollen Portraits, das es schafft den Charakter des Portraitierten einzufangen. Zum anderen die Reportage, in die Portraits eingebettet sind. Eine meiner schönsten Reportagen und Portraits durfte ich von meinem Papa machen. Sie wurden im Sicht Fotomagazin 2018 veröffentlicht.
Die Magazinausgabe ist ausverkauft – wer aber mal blättern möchte, darf mich gern besuchen.

Portraitfotografie von meinem Papa

Mein Papa. 1924 geboren, 1936 im Krankenhaus bei einer Routineuntersuchung mit Kinderlähmung angesteckt. Manchmal fickt einen das Leben. Der kleine Fußballer ans Bett gefesselt, Therapien, durfte nochmal laufen lernen. Aber sind wir mal ehrlich. Wie wahrscheinlich ist es, dass er den Krieg überlebt hätte, wenn ihn die Polio nicht ans zu Bett gefesselt hätte? 1944 war er 20 und wäre wie seine Fußballjungs an der Front gelandet.

Das Leben meint es also doch manchmal gut. Man weiß es aber erst nachher. Die Zeit im Krankenhaus hat ihn geprägt. Er ist Arzt geworden und hat so vielen Menschen durch schwere Zeiten geholfen. So wie ihm geholfen wurde. Und er hat geimpft wie ein Weltmeister, denn er wusste, dass eine einfache Impfung ein Kind vor einem Leben mit Krückstock bewahren kann.

Seit ich 15 war, sagte er mir immer wieder, dass er früh sterben würde. Der Herzmuskel wäre geschwächt. Am Ende ist er 91 geworden. Das lag vor allem an seinem Kampfgeist, immer alles selber machen. Jeden Tag Übungen, streng vegetarische Ernährung, die tägliche kalte Dusche.

Seine Abschiedsreportage

Vor allem, dass wir so ein langes Stück Leben gemeinsam gehen konnten. Der beste Papa, den man sich wünschen kann – immer offen für die skurrilsten Ideen; immer diskussionsfreudig, beharrlich aber nicht vorwurfsvoll oder gar nachtragend. Immer direkt, humorvoll und wissbegierig. Und mein liebstes Model. Meine schönsten Bilder sind von ihm.

Diese letzte Serie entstand einen Monat bevor er ins Krankenhaus kam. Als er zurückkehrte, war er zu schwach zum Laufen geworden und verbrachte sein letztes halbes Lebensjahr im Liegen. Umso wichtiger war die Dokumentation seiner letzten Selbstständigkeit, seines täglichen Widerstandes gegen die Kinderlähmung und das Alter. Schon einfache Bewegungsabläufe, wie Kaffee machen, dauerten ewig. Sein Chaos im Arbeitszimmer, angesammelte Lebenserinnerung, Alltagshilfen und Trash :). Seine Zeit als Opa.

Mir sind die Bilder besonders wichtig, ob des freudigen Kampfes, den er immer geführt hat. So lange und beharrlich. Sie hat mir letztlich auch die Kraft gegeben, ihn im letzten halben Jahr zu unterstützen.

Eine Portraitserie, wie geschaffen für ein Fotomagazin

Entstanden sind die Bilder der Erinnerung Willen. Als mich Matthias vom “Sicht” Fotomagazin darum bat, mich mit einer Serie bei der Erstausgabe des Mags zu beteiligen, war trotzdem klar, dass diese Bilder veröffentlicht werden sollten, denn gewünscht waren Geschichten und geliefert habe ich meine erste Abschiedsreportage. Papa wusste davon, dennoch hat er das Fotomagazin nie gesehen. Er hat die Veröffentlichung um eine Woche verpasst.